Neuer Klingelton aus Japan bringt Brüste zum Wachsen
Geizhals » Forum » Telekommunikation » Neuer Klingelton aus Japan bringt Brüste zum Wachsen (9 Beiträge, 639 Mal gelesen) Top-100 | Fresh-100
Du bist nicht angemeldet. [ Login/Registrieren ]
.
Re: Neuer Klingelton aus Japan bringt Brüste zum Wachsen
08.02.2010, 12:16:31
interessant. :-)

Das Interview mit dem "Erfinder" und dessen Plan, Melodien zu kreiieren, die verschiedene Vorgänge in den Hörern auslösen sollen - z.B. "love at first sight" - hat mich augenblicklich an den Roman "Melodien" von Helmut Krausser erinnert (siehe Text unten).

"26 Achttakter, sogenannte Tropoi, wobei jedem Tropus eine bestimmte Funktion zugeordnet ist:
* wie man eines Geizigen Faust lockert,
* wie man weinlos trunken macht
* wie man in einem Menschen Liebe weckt oder
* wie man Wunden schneller heilen läßt
...."

Wenn das Vorhaben tatsächlich bei einem gewissen Perozentsatz der Menschen  hinreichend wirksam gelingen sollte, würde bzw. wird es jedenfalls die Welt verändern. Unabhängig davon, ob der Wirkungsmechanismus wissenschaftlich einwandfrei erklärt werden kann oder nicht. :-)



"Melodien" / Helmut Krausser: http://www.amazon.de/Melodien-Oder-Nachtr%C3%A4ge-quecksilbernen-Zeitalter/dp/3499233800/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1265627635&sr=1-1

http://www.hagestedt.de/portrait/d2Krausser.html
------------------------------------------------
ZITAT:
"Helmut Kraussers "Melodien" hat eine Gegenwarts- und eine Vergangenheitshandlung. Die Hauptfigur der Gegenwartshandlung ist der junge Fotograf Alban Täubner. Mit Orpheus verbindet ihn, daß auch er die erotische Partnerin verloren hat. Alban fällt in einen Zustand dumpfer, interesseloser Apathie (daher der Name "Täubner"); er ist ein Tor vom Schlage Parsifals, wie Krausser in seinem Tagebuch "Mai" (1993) hervorhebt; auch die phantastische Geschichte der "Melodien" läßt ihn zunächst unbeeindruckt. Der Magier Castiglio, eine Hauptfigur der Vergangenheitshandlung, soll sie um 1530 entwickelt oder gefunden haben, 26 Achttakter, sogenannte Tropoi, wobei jedem Tropus eine bestimmte Funktion zugeordnet ist: wie man "eines Geizigen Faust lockert", wie man "weinlos trunken macht", wie man "in einem Menschen Liebe weckt" oder wie man "Wunden schneller heilen läßt". Diese Tropoi zu besitzen bedeutet Macht, aber man kann sie offenbar nicht exklusiv besitzen: Sie prägen die Welt als "Melodien", als Tropoi sind sie nicht erkennbar, greifbar, bestimmbar. In der dargestellten Welt des Romans wird der These, die Tropoi lebten in transformierter Form in den großen Werken der Musikliteratur weiter, einige Wahrscheinlichkeit zugestanden. Hier generiert Krausser einen neuen Mythos, der das Musik-Erleben seiner Primärrezipienten verändern dürfte und die magische Wirkung bedeutender Musik erklären könnte.

Natürlich ist diese bizarre Romanhandlung ironisch erzählt, was immer schon Distanz zur dargestellten Welt signalisiert, während der Rezipient noch geneigt ist, der unglaublichen Geschichte Glauben zu schenken. Kraussers Roman wäre in seiner postmodernen Mehrfachkodierung wohl nicht ohne die Impulse denkbar, die etwa von Umberto Ecos "Il nome della rosa" (1980; dt. 1982) oder Patrick Süskinds "Das Parfüm" (1985) ausgingen, von Texten also, die Fakten und Fiktionen amalgamieren, die als Wissenschafts-, Geschichts- oder Kriminalroman, als Sitten- und Kulturgeschichte, als Traktat und als intellektuelle Collage gelesen werden können, die von erkenntnistheoretischen und philosophischen Fragen handeln können, von Logik, Ästhetik, Ethik, Moral ebenso wie von Politik, Religion, Spiel, Psyche, Liebe, Erotik, Sexualität und - natürlich - vom Tod, dem "Generalbaß" in Kraussers Werk.

Docere et delectare heißt die Devise dieser großen Meta-Romane, die das Genre des historischen Romans bis in den Anmerkungsteil ironisieren. Alles in "Melodien" hat deshalb viele Wahrheiten: In der Gegenwartshandlung versuchen drei "Mythosophen" des Phantoms der orpheischen Melodien habhaft zu werden. Professor Krantz, ein Privatgelehrter, Dr. Nicole Dufrès, eine Psychohistorikerin, sowie ein gewisser Mendez, ein offenbar Geistesgestörter, der sich für einen Abgesandten Gottes hält. Jeder von ihnen erzählt Täubner seine eigene Version, was es mit den Tropoi auf sich habe, ein Kampf um die Macht der Darstellung entbrennt, und Täubner, der Teilnahmslose, wird zum bedingungslos Abhängigen und Hörigen. Er will die ganze Wahrheit in sich aufnehmen, aber jede Version ist so schnell und flüchtig wie Quecksilber, nicht haltbar und nicht faßbar: "Nachträge zum quecksilbernen Zeitalter" hat Krausser sein Buch im Untertitel genannt. In dieser ausweglosen Situation ist Täubner bald nicht mehr bloß erzählte Figur, sondern Erzähler. Er identifiziert sich partiell mit den Figuren und wird zum "Zeitentaumler". Seine Wandlung wird mit jener des "weißen Bauern" im Schachspiel verglichen, der die letzte Reihe erreicht hat und nun als "Dame" weiterspielen darf. Er ist die Figur, die plötzlich Macht bekommt, aber immer Schachfigur bleiben und niemals die ontologische Schwelle zum Spieler überschreiten wird.

Die Geschichte der Tropoi, die der Roman eng mit der Entstehung der Oper verknüpft, ist mit dem gewaltsamen Tode Castiglios abgeschlossen; seine Ermordung wird als >Urszene< der Opernliteratur dargestellt. Nach wichtigen Zwischenstationen und Darstellungen monströser Viten des 15. und 16. Jahrhunderts betritt im Zeitalter des Barock der Kastrat und Komponist Marc Antonio Pasqualini (1614 - 1691) die Welt der Musik. Pasqualini ist eine besonders düstere Gestalt, die im Wettstreit der Stimmen den mörderischen Kampf der Geschlechter wiederauferstehen läßt. Pasqualini, der sich für die Stimme Gottes hält, für die Reinkarnation des Orpheus, den er weit über den christlichen Gott stellt, will den grausamen Tod, den die Mänaden Orpheus bereiteten, nicht minder grausam rächen. Die Mänaden, das sind für ihn die Frauenstimmen, die seit kurzem im Begriff stehen, die Musiktheater zu erobern. Er gründet einen Geheimorden, den "Ontu", dessen Ziel es ist, die Sängerinnen grauenvoll zu beseitigen.

Manches von dem, was Helmut Krausser erzählt, ist historisch verbürgt, das meiste reine Fiktion. Die Grenzen werden bewußt verwischt. Der Wahnsinn aus Leidenschaft ist sein großes Thema spätestens seit "Fette Welt". Im souveränen Umgang mit dem Stofflichen liegt seine Stärke. Mit der Gegenwarts- und der Vergangenheitshandlung alternieren auch die Stilmittel: fingierte historische Rede, Gegenwartsjargon, Altherrenprosa, Tagebuchfiktion, ironisch gebrochene Wissenschaftsprosa, Lyrisches und Essayistisches werden eingesetzt."
--------------------------------------

und eine weitere Rezension: http://www.die-leselust.de/buch/krausser_helmut_melodien.htm





... wenn ich eine Botschaft hätte, würde ich ein Foto schicken! ;-)
Antworten PM Übersicht Chronologisch Zum Vorgänger
 
Melden nicht möglich
 

Dieses Forum ist eine frei zugängliche Diskussionsplattform.
Der Betreiber übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der Beiträge und behält sich das Recht vor, Beiträge mit rechtswidrigem oder anstößigem Inhalt zu löschen.
Datenschutzerklärung